Nato will Verteidigungsfähigkeiten extrem ausbauen
Russland, aber auch US-Präsident Donald Trump setzen die Nato enorm unter Druck. Nun gibt es neue militärische Planungsziele - auch für Deutschland.


Brüssel (dpa) - Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch Russland will die Nato ihre militärischen Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung extrem ausbauen. «Wir benötigen mehr Ressourcen, Truppen und Fähigkeiten, um auf jede Bedrohung vorbereitet zu sein und unsere kollektiven Verteidigungspläne vollständig umzusetzen», sagte Generalsekretär Mark Rutte vor einem Verteidigungsministertreffen an diesem Donnerstag in Brüssel. Oberste Priorität hätten die Luft- und Raketenabwehr, weitreichende Waffensysteme, Logistik und große Verbände von Landstreitkräften.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist vorgesehen, die bisher gültigen Zielvorgaben für die militärischen Fähigkeiten um etwa 30 Prozent zu erhöhen. Um ein Erreichen der Vorgaben sicherzustellen, bekommen Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten nun neue nationale Planungsziele zugewiesen. Sie sollen bei dem Verteidigungsministertreffen formell angenommen werden.
Als besonders große Herausforderung gelten die neuen Ziele, weil die bisher geltenden bei weitem noch nicht erreicht sind. Ranghohe Militärs hatten zuletzt von einer Lücke von 30 Prozent gesprochen.
Vorgaben sind als streng geheim eingestuft
Die konkreten neuen nationalen Planungsziele sind derzeit noch als streng geheim eingestuft. Es wird allerdings damit gerechnet, dass nach der Annahme der Vorgaben durch die Verteidigungsminister einige Details öffentlich gemacht werden.
Für Deutschland gehen Militärs davon aus, dass die derzeit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten starke Bundeswehr um eine hohe fünfstellige Zahl größer werden muss, wenn die Bundesrepublik die ihr zugewiesenen Planungsziele erreichen will. Zudem werden demnach zum Beispiel erhebliche Investitionen in neue Luftverteidigungssysteme nötig sein.
Auf Alliierte kommen Investitionen in Milliardenhöhe zu
Aus den aktuellen Defiziten und den neuen Planungszielen leitet sich auch die geplante neue Vorgabe für die Verteidigungsausgaben ab. So sollen sich alle Nato-Mitglieder beim Gipfeltreffen Ende des Monats verpflichten, künftig mindestens einen Betrag in Höhe von 3,5 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung zu investieren. Hinzu könnten dann noch einmal 1,5 Prozent des BIP für verteidigungsrelevante Ausgaben - beispielsweise für Infrastruktur - kommen, so dass am Ende die von US-Präsident Donald Trump geforderte Quote von fünf Prozent erreicht wird.
Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius soll der Anteil der Verteidigungsausgaben an der deutschen Wirtschaftsleistung in einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren um 0,2 Prozentpunkte pro Jahr steigen. Von den 2,1 Prozent im vergangenen Jahr gerechnet könnte dann bis 2032 eine Quote von 3,5 Prozent erreicht werden.
Laut Kanzler Friedrich Merz (CDU) würde jeder Prozentpunkt mehr für Deutschland derzeit ungefähr ein Plus von 45 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben bedeuten. Bei insgesamt fünf Prozent wären derzeit Ausgaben in Höhe von 225 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Zur Einordnung: Die gesamten Ausgaben des Bundeshaushalts beliefen sich im vergangenen Jahr auf rund 466 Milliarden Euro.
Am Rande eines Treffens der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel am Mittwoch kündigte Pistorius darüber hinaus einen neuen Anlauf für die internationale Verstärkung und Aufrechterhaltung der ukrainischen Flugabwehr an. Dazu solle eine multinationale Initiative («Immediate Action on Air Defense») neu aufgelegt werden, sagte er.
Trump will neue Lastenteilung
Hintergrund der Planungen ist die Einschätzung von Geheimdiensten, dass Russland trotz des noch laufenden Angriffskriegs gegen die Ukraine schon in drei bis fünf Jahren bereit für weitere militärische Aggressionen in Europa sein könnte. Sowohl mit den neuen nationalen Planungszielen für die Verteidigungsfähigkeiten als auch mit der neuen Quote soll allerdings auch der US-Forderung nach einer ausgeglicheneren Lastenteilung innerhalb des Bündnisses Rechnung getragen werden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bündnisstaaten geben die Vereinigten Staaten bereits seit vielen Jahren stets deutlich mehr als drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus.
Trump will nun, dass die Europäer künftig deutlich mehr Verantwortung für die Sicherheit auf ihrem Kontinent übernehmen. Im Idealfall sollen sie künftig alle konventionellen Verteidigungsfähigkeiten selbst stellen. Die USA würden dann in Europa nur noch die nukleare Abschreckung garantieren müssen. Nato-Generalsekretär Rutte sagte, die USA erwarteten zu Recht, dass die Alliierten ihre Ausgaben erheblich steigerten. Die Nato müsse nicht nur ein stärkeres und schlagkräftigeres, sondern auch ein faireres Bündnis werden.