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Angeklagter: Medikamente nach Anordnung gegeben

Der Angeklagte im Saal A 0.009 des Aachener Landgerichts ist selbstbewusst und spricht oft unverblümt. Der Krankenpfleger berichtet von Nachtdiensten, Klinikalltag, Medikamenten und äußert Kritik.

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Prozessauftakt gegen einen Krankenpfleger in Aachen Oliver Berg/dpa

Aachen (dpa/lnw) - Im Mordprozess gegen einen Krankenpfleger vor dem Landgericht Aachen hat der Angeklagte bekräftigt, dass er in seinen Nachtschichten Medikamente fast ausschließlich nach Anordnung gegeben habe. Falls wegen des Zustands der Patienten eine weitere Gabe notwendig gewesen sei, habe er die ärztliche Anordnung nachträglich eingeholt, sagte der Krankenpfleger. Das sei «in 99,5 Prozent der Fälle» so gewesen. Falls ein Medikament ohne Wirkung blieb, sei ein vergleichbares Präparat genommen worden. 

Dem Mann, der im Nachtdienst allein auf der Palliativstation des Rhein-Maas Klinikums in Würselen bei Aachen tätig war, wird Mord in neun Fällen sowie 34-facher Mordversuch an Patienten vorgeworfen. Er soll zwischen Ende Dezember 2023 und Mai 2024 insgesamt 26 Patienten eigenmächtig stark sedierende Medikamente gespritzt haben, teilweise in Kombination mit Schmerzmitteln und teilweise mehrfach. Das habe in neun Fällen zum Tod der Patienten geführt.

Der Angeklagte sagte erneut, dass nach seiner Meinung bei Palliativpatienten, die keine Aussicht auf Heilung haben, Beruhigungs- oder Schmerzmittel häufig zu gering dosiert würden. «Wir Krankenpfleger stupsen die Ärzte schon ganz gerne mal an», sagte er und verwies auf die Möglichkeit, das Thema bei Visite oder Übergabe anzusprechen. Er bekräftigte seine frühere Aussage, er sei kein Euthanasie-Pfleger und habe sich an Patienten-Verfügungen gehalten. In den Nachtdiensten hätten Ärzte wenig gestört werden sollen. Er sei nicht immer einverstanden gewesen mit Reanimationen an teils über 90-jährigen Patienten. 

Psychische Probleme in Corona-Zeit

Der an Händen und Armen tätowierte Mann berichtete auch, dass er während einer Tätigkeit in Köln psychische Probleme hatte. In der Corona-Zeit habe er auf der Station Angst vor einer Corona-Infektion gehabt und oft Patienten an Corona sterben sehen. Er habe Angst gehabt, der Stress sei nicht weniger geworden. «Da ist mir eine Synapse durchgeknallt», sagte der Mann. 

Die Kollegen hatten in ihren Aussagen dem Krankenpfleger bescheinigt, dass seine Station stets tipptopp gewesen sei. Zugleich wurde er von einigen Kollegen als schroff und als Einzelgänger beschrieben. Der 44-Jährige drückt sich unverblümt und direkt aus, berichtet selbstbewusst vom Klinikalltag und kritisiert die Organisation des Betriebs. Seine relativ häufigen Arbeitsplatzwechsel begründete er mit der Bezahlung.

Unterdessen hat die Kölner Staatsanwaltschaft in dem Fall einen Teil des Ermittlungsverfahrens von der Staatsanwaltschaft Aachen übernommen. Dies betrifft nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft den Zeitraum von April 2010 bis Januar 2011 sowie von Februar 2014 bis September 2020, als der Beschuldigte im Krankenhaus Köln-Merheim gearbeitete. Derzeit würden Akten ausgewertet, um dann mit der Polizei Köln die nächsten Ermittlungsschritte anzugehen. Der «Kölner Stadt-Anzeiger» berichtete. 

Auch die Kriminalpolizei in Aachen ermittelt in dem Fall weiter. Kurz vor Prozessbeginn im März war die Anklage erweitert worden. Bislang plant das Gericht Verhandlungen bis in den September hinein.

© dpa-infocom, dpa:250604-930-629014/1