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Verfassungsschutz-Novelle für aktuelle Bedrohungslagen

Der Verfassungsschutz muss fit gemacht werden für neue sicherheitspolitische Herausforderungen, technologische Entwicklungen und rechtliche Anforderungen. Der Innenminister präsentiert sein Konzept.

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Verfassungsschutz-Novelle für aktuelle Bedrohungslagen Federico Gambarini/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) - Ein neues Verfassungsschutzgesetz soll die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen erhöhen. Die Novelle, die nächstes Jahr in Kraft treten soll, trage aktuellen Bedrohungslagen Rechnung, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf. Als Beispiele nannte er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder islamistischen Terrorismus. 

«Mehr Kriege, Krisen und Konflikte verlangen auch mehr Können unserer Sicherheitsbehörden», erklärte Reul. Auch der tödliche Anschlag von Solingen im August 2024 habe erneut gezeigt, wie wichtig es sei, Radikalisierungsprozesse möglichst früher als bislang zu erkennen.

Aus diesen Gründen werde das Verfassungsschutzgesetz erstmalig seit mehr als 30 Jahren neu gefasst. Mit der Reform reagiere die Landesregierung auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 

Mit neuen Befugnissen werde es auch mehr Kontrolle der Verfassungsschützer geben, versicherte der Innenminister. Er stellte Einzelheiten des vom Kabinett bereits gebilligten Entwurfs vor.

Die Details 

  • Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ): «Terroristen telefonieren nicht, die sind bei Telegram», erklärte Reul den Hintergrund der neuen Befugnisse. «Extremisten kommunizieren über verschlüsselte Messenger. Da sind wir bisher blind.» Die Sicherheitsbehörden müssten aber in der Lage sein – trotz Verschlüsselung – schon ganz früh und am besten am Handy selbst die Nachrichten rückverfolgen zu können.
  • Ausnahmefälle: «Mit dem neuen Gesetz geben wir dem Verfassungsschutz die Möglichkeit, verschlüsselte Kommunikation mitlesen zu können – dort, wo es rechtlich erlaubt und notwendig ist», sagte Reul. «Das wird aber der Ausnahmefall bleiben in extrem gefährlichen Situationen» – auch, weil solche Maßnahmen außerordentlich teuer seien. Auch künftig seien sie zuvor von einem vom Landtag eingesetzten Kontrollgremium (G 10-Kommission) zu genehmigen. Im Bund und in anderen Ländern gebe es die Quellen-TKÜ schon, erläuterte der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes Jürgen Kayser. «Da ziehen wir nach.»
  • Auch die künftige Befugnis zur Funkzellenabfrage in Mobilfunknetzen sei neu für den Verfassungsschutz, sagte Reul. Auf diese Weise könnten Netzwerke von Extremisten und Terroristen besser aufgedeckt werden. Bei einer Funkzellenabfrage fordern die Behörden von einem Mobilfunkanbieter die Daten aller Geräte an, die sich in einem bestimmten Zeitraum und Gebiet mit einem Mobilfunkmast verbunden haben.
  • Auch im Verfassungsschutzgesetz des Landes soll klar verankert werden, dass auch Einzelpersonen beobachtet werden dürfen – unabhängig davon, ob sie Teil einer extremistischen Gruppierung sind oder wegen Gewalttätigkeiten bekannt sind. «In der Praxis machen wir das schon seit 2021, weil das Bundesrecht uns das seitdem ebenfalls erlaubt», erläuterte Reul. Mit der Landesregelung werde das Vorgehen aber transparenter.
  • Anfragen zu Kontostammdaten – etwa über das Bundeszentralamt für Steuern – werden erleichtert. «Extremismus, Terrorismus und Spionage kosten Geld – zum Beispiel, wenn Waffen gekauft werden», sagte Reul. Die Spur des Geldes könne künftig besser verfolgt werden.
  • Ebenso werde es mit der neuen Befugnis zur Anfrage bei Verkehrsunternehmen leichter, Reisewege von Extremisten, Terroristen und Agenten fremder Mächte zu verfolgen. «Da helfen Daten zur Buchung von Flügen und Fernbussen, um dranzubleiben», sagte Reul.
  • Der Verfassungsschutz darf künftig auf Daten aus der Videoüberwachung des öffentlichen Raums zugreifen. «Das gilt nur für den Einzelfall», sagte der Minister. «Der Verfassungsschutz beobachtet nicht dauerhaft.»
  • Bei der Prävention soll die bisherige Altersgrenze fallen: Bislang durfte der Verfassungsschutz erst bei Gefährdeten ab 16 Jahren vorbeugend tätig werden – etwa mit Aussteiger-Programmen –, bei Terroristen ab 14. «Jetzt gilt das auch für unter 14-Jährige», kündigte Reul an.
  • Überdies werde die präventive Spionageabwehr gesetzlich gestärkt.
  • «Mit diesem Gesetz wird der Verfassungsschutz auch selber stärker kontrolliert», versicherte der Minister. Neben die G 10-Kommission für Verfassungsschutzmaßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung rücke auch ein Richtervorbehalt für längerfristige Observationen, den Einsatz von Vertrauensleuten oder die Wohnraumüberwachung. Außerdem werde es mehr Berichtspflichten gegenüber dem parlamentarischen Kontrollgremium geben, insbesondere bei der Auswahl von Vertrauenspersonen.

Opposition mahnt Augenmaß an

Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP bejahten im Grundsatz die Notwendigkeit, das Verfassungsschutzgesetz «mit Augenmaß» zu modernisieren, «ohne Grundrechte zu schleifen». CDU und Grüne betonten in einer gemeinsamen Mitteilung, die Novelle werde die Sicherheit der Menschen verbessern und den Verfassungsschutz dafür technisch sowie rechtlich auf die Höhe der Zeit bringen. 

Der Gesetzentwurf geht nun in die Anhörung der Sachverständigen und soll noch vor der Sommerpause im Plenum beraten werden.

© dpa-infocom, dpa:250519-930-563919/1