Konto eines Juden aus Nazi-Zeit: Erbe geht leer aus
1932 hat eine jüdische Familie Geld angelegt – und es während der Nazi-Herrschaft wohl nie zurückerhalten. Trotzdem geht der Erbe nun leer aus.


Hamm/Hagen (dpa/lnw) - Der Erbe einer jüdischen Familie aus Hagen hat keinen Anspruch mehr auf ein Konto, das seine Vorfahren während der NS-Diktatur besessen haben. Alle Ansprüche seien seit Jahrzehnten verjährt, urteilte das Oberlandesgericht Hamm. Die Frist sei vom Gesetzgeber lang genug bemessen worden, so dass Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine «faire Chance» gehabt hätten, ihre Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen, entschieden die Richter.
Kläger Marc Benseghir zeigte sich enttäuscht. «Dieses Urteil verkennt die historische Verantwortung der Sparkasse Hagen und widerspricht dem Grundsatz, dass nationalsozialistisches Unrecht nicht verjähren darf», sagte er. Er will nun weiter gegen das Urteil vorgehen.
Ein Sprecher der Sparkasse an Volme und Ruhr in Hagen sagte, man begrüße es, dass die Richter auch in zweiter Instanz der eigenen Rechtsauffassung gefolgt seien.
Mitgift in Zeiten der Nazi-Herrschaft
Das Geld, um das es geht, soll eine Mitgift des Hagener Metzgermeisters Simson Cohen für seine Tochter Erna gewesen sein. Cohen ist in Hagen durchaus bekannt – eine Brücke in der Nähe der Innenstadt ist nach ihm benannt. In der Pogromnacht 1938 stürmten die Nazis sein Geschäft und verletzten ihn so schwer, dass er drei Jahre später an den Folgen starb. Seine Tochter und ihr Mann, Arthur Levy, waren zu diesem Zeitpunkt schon in die Schweiz emigriert.
Viele Jahrzehnte später stieß Cohens Urenkel Marc Benseghir durch Akten im Schweizerischen Bundesarchiv überhaupt darauf, dass es bei der Sparkasse in Hagen ein Konto gab – und dass sein Großvater damals vergeblich versucht hatte, aus der Schweiz an das Geld in Nazi-Deutschland heranzukommen.
Wohin flossen die 25.000 Reichsmark?
Doch über dieses Konto mit der Nummer 4409 gebe es kaum noch Unterlagen, argumentierte die Sparkasse in dem Rechtsstreit. Einige Listen, in denen es erwähnt sei, legten nahe, dass die einst stattliche Summe von rund 25.000 Reichsmark nach und nach ausgezahlt wurde, bis das Konto 1937 aufgelöst worden sei. Weitere Unterlagen zu dem Konto habe man trotz intensiver Recherche nicht finden können, versicherte der Vertreter der Sparkasse vor Gericht.
Benseghir und sein Anwalt Christoph Partsch verlangen aber vollständige Akteneinsicht, denn sie misstrauen den Angaben der Sparkassen. Sie wollen verstehen, wie es sein kann, dass das Guthaben von Jahr zu Jahr kleiner geworden sein soll – obwohl sich die Sparkasse doch geweigert habe, Geld an den jüdischen Kontoinhaber Arthur Levy auszuzahlen.
Es sei ein nationalsozialistisches Verbrechen, dass seinen Vorfahren die Auszahlung des Guthabens verweigert wurde, sagte Benseghir nach der Urteilsverkündung. «Das heutige Urteil ignoriert nicht nur die Verpflichtung zur Wiedergutmachung, sondern setzt auch ein fatales Zeichen: Es suggeriert, dass institutionelles Schweigen über nationalsozialistische Verbrechen und die Verweigerung von Transparenz belohnt werden können.»
Richter: Keine historische Aufarbeitung möglich
Doch mit der Frage, ob Arthur Levy während der Nazi-Herrschaft zu Unrecht um sein Geld gebracht wurde, hatten sich die Richter schon in der mündlichen Verhandlung im März überhaupt nicht beschäftigt. Juristisch relevant sei zunächst nur, ob mögliche Ansprüche nicht längst verjährt seien, hatte der Vorsitzende Richter schon damals argumentiert. Eine historische Aufarbeitung nationalsozialistischer Unrechtstaten könne ein Zivilprozess nicht leisten.
Der Senat hat zwar keine Revision zugelassen – dagegen will Benseghir aber eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. «Die Frage der Verjährung von enteigneten Bankguthaben während der NS-Zeit und die Verantwortung der Sparkasse muss auf höchstrichterlicher Ebene geklärt werden», sagte er.
Sein Anwalt Partsch glaubt, dass das Verfahren juristisch wegweisend sein könnte. Denn Historiker gingen davon aus, dass es bei zahlreichen Banken in Deutschland noch Akten über Konten von Juden gebe, die in der Nazi-Zeit enteignet wurden.