Solingen-Prozess: Brisanter Vermerk aufgetaucht
Im Prozess um den Vierfachmord von Solingen ist ein bislang unbekannter Vermerk aufgetaucht. Die Anwälte der Nebenkläger sprechen von einem Skandal.


Wuppertal (dpa) - Im Prozess um den Vierfachmord von Solingen ist ein brisanter Vermerk aufgetaucht. Demnach hatte die Polizei den mörderischen Brandanschlag einen Monat nach der Tat als politisch rechts motiviert eingestuft, teilten die Nebenklage-Anwälte des Verfahrens mit. Darüber seien sie vom Vorsitzenden Richter informiert worden.
Der bislang unbekannte Vermerk sei erst jetzt nachgereicht worden. Die ursprüngliche Ein- und Zuordnung sei im Nachhinein handschriftlich von einem Beamten abgeändert worden und dadurch nicht Bestandteil der Akte geworden.
«Aktenbestandteile vorenthalten»
«Für uns ist es ein Skandal, wie dieses Verfahren von den Ermittlungsbehörden bislang geführt wurde und dem Gericht und unseren Mandanten wichtige Informationen und Aktenbestandteile vorenthalten wurden», kritisierten die Anwälte.
Sie forderten die Ermittlungsbehörden auf, dem Gericht und den Nebenklägern endlich alle Informationen unverzüglich und vollständig zur Verfügung zu stellen. Nur so sei eine korrekte Bewertung der Tatmotive des Täters möglich.
Mit der bisherigen Salamitaktik werde das Verfahren durch die Ermittlungsbehörden zeit- und kostenintensiv verzögert und es entstehe der verheerende Eindruck, dass eine vollständige Aufklärung der Hintergründe der Tat nicht gewünscht sei.
Nebenklage-Vertreterin Seda Başay-Yildiz hatte bereits vor Wochen den Verdacht geäußert, dass genau jenes Beweismaterial zurückgehalten worden sei, das auf eine rechtsradikale Gesinnung und ein entsprechendes Motiv des Angeklagten deuten könne.
Im Laufe des Prozesses waren ein rassistisches Gedicht aus der Garage des Angeklagten, NS-Literatur, ein rassistischer Chat mit seiner Freundin und 166 Dateien mit rechtsextremem Inhalt auf einer Festplatte aufgetaucht.
Richter: «Darf nicht passieren»
Auch der Vorsitzende Richter Jochen Kötter hatte sich erstaunt gezeigt: «Ich könnte da auch aus der Haut fahren, wenn ich das sehe», hatte er gesagt. «Ich muss Ihnen zugestehen, dass das nicht passieren darf.» Die Ermittler hatten argumentiert, das Meiste sei dem Angeklagten nicht eindeutig zuzuordnen und deswegen aussortiert worden.
Wuppertals Polizeipräsident hatte nach der Festnahme des geständigen Angeklagten gesagt, dass es keine Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund gibt.
Die Anwälte der Angehörigen hatten darauf hingewiesen, dass in den vom geständigen Angeklagten angezündeten Häusern fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund gelebt hätten. Eine der Brandstiftungen sei am Jahrestag der Pogromnacht gewesen.
Bei dem tödlichen Feuer starben zwei kleine Kinder und die Eltern
Der mutmaßliche Mörder und Brandstifter hat bereits umfassend gestanden. Bei dem tödlichen Feuer am 25. März 2024 starb in Solingen eine bulgarische Familie im Dachgeschoss - die 28 und 29 Jahre alten Eltern und ihre beiden Töchter im Alter von drei Jahren sowie wenigen Monaten. Als Motiv gab der Angeklagte «Stress mit der Vermieterin» an. Ihm war wegen Mietrückständen gekündigt worden.
Der deutsche Angeklagte gestand neben mehreren Brandlegungen auch eine Macheten-Attacke, bei der er einen Bekannten lebensgefährlich verletzte. Der 40-Jährige muss sich in Wuppertal wegen vierfachen Mordes und zahlreichen Mordversuchen vor Gericht verantworten. Ein Psychiater hatte ihn als hochgefährlich eingestuft.