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«Bei Anruf Kultur» - Museen vom Sofa aus erkunden

Sie möchten eine Führung auf der Berliner Museumsinsel oder durch Hamburgs Kunsthalle? Aber Sie sind nicht mobil, haben kaum Geld oder sind sehbehindert? Machts nichts - wenn Sie telefonieren können.

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Hamburger Kunsthalle ist Teil des Projektes "Bei Anruf Kultur" Marcus Brandt/dpa

Hamburg/Köln (dpa) - Gleich geht die Führung durch das Museum los. 15 Menschen sind heute dabei und warten auf ihren Guide Corinna Fehrenbach. Doch die Kunstexpertin steht ganz allein am Eingang des Museums für Angewandte Kunst in Köln (MAKK). Dort setzt sie nun ihr Headset auf, ruft eine Nummer an und beginnt zu erzählen. Sie macht eine Telefonführung.

«Ich stehe hier startklar im großen Foyer des Museums und der Kölner Dom liegt nur zwei Minuten entfernt. Nur, damit Sie mal eine Vorstellung davon haben, wo wir uns hier befinden», sagt sie beschwingt und spricht über die Design-Ausstellung. Fehrenbach hält am Telefon eine etwa einstündige Führung. Es ist ein Angebot des Hamburger Projektes «Bei Anruf Kultur». 

Mehr als 100 deutsche Museen machen mit

Mehr als 100 deutsche Museen machen mittlerweile mit, am 15. Juni ist erstmals auch die Hamburger Kunsthalle mit dabei. Dabei sollen Kunstwerke von Édouard Manet, Karl Schmidt-Rottluff und der belgischen, zeitgenössischen Künstlerin Berlinde De Bruyckere besprochen werden.

Vor-Ort-Führungen für Blinde und Sehbehinderte gibt es an vielen Museen. Die Telefonführungen von «Bei Anruf Kultur» gehen noch einen Schritt weiter - bis hin zum Sofa und zum Kaffeetisch der Kunst- und Kulturinteressierten.

Das inklusive Projekt riefen der Blinden- und Sehbehindertenverein, einige Hamburger Museen und ein Büro für Inklusion während der Corona-Pandemie im Februar 2021 ins Leben. Der Gedanke: Wenn die Menschen nicht zur Kultur kommen können, kommt die Kultur eben zu den Menschen. Übers Telefon. 

Das Angebot richtet sich an Menschen, die Kultur live erleben möchten, das aber aus verschiedensten Gründen nicht können. Weil sie beispielsweise blind- oder sehbehindert oder in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sich den Besuch nicht leisten können oder sich in großen Gruppen nicht wohlfühlen. 

Projekt wächst - Spenden für Finanzierung wichtig

Die Pandemie ist mittlerweile überstanden, das Projekt ist geblieben und es ist gewachsen. «Aktuell sind es 111 Kulturanbietende, die bereits eine Telefonführung angeboten haben oder dies in naher Zukunft tun werden», sagt Projektleiterin Melanie Wölwer. 

Die Hörführungen sind kostenlos. Finanziert werden sie von der Aktion Mensch und der Hamburger Kulturbehörde - das sind derzeit jährlich etwa 105.000 Euro. Das deckt jedoch nur gut die Hälfte der Kosten (rund 200.000 Euro).

«Der Rest muss als Eigenanteil erbracht werden, was nach wie vor eine große Herausforderung für uns ist.» Wölwer und ihr Team hoffen auf mehr Spenden - nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Stiftungen und Unternehmen.

Kulturhopping am Telefon

Die Saarbrückerin Gertrud Feld ist gern bereit für die Hörführungen zu spenden. Die 61-Jährige ist von Geburt an blind und ein «Bei Anruf Kultur»-Fan. Seit mehr als einem Jahr wählt sie sich regelmäßig ein. Sie ließ schon etwa durch das Helmut-Schmidt-Haus in Hamburg, über die Museumsinsel in Berlin oder durch die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar führen. 

«Ich freue mich total, dass ich von zu Hause aus so viel hören und erleben kann. Ich entdecke immer etwas Schönes, Neues und Spannendes, was ich vorher nicht gewusst habe.» Sie war über den Blindenverband Saarland auf die Hörführungen aufmerksam geworden.

Viele Details - aber ohne Reizüberflutung

Die Guides sind zuvor geschult worden, denn eine Führung ausschließlich zum Hören muss anders geleitet werden. «Natürlich ist die Faustregel: weniger ist mehr», sagt die Kölner Museumsführerin Corinna Fehrenbach dazu. «Wir wollen ja keine Reizüberflutung im Kopf.» 

Sie bleibe am liebsten bei wenigen Objekten und beschreibe die dann ausführlich: Formen, Farben, Beschaffenheit, Vergleiche mit bekannten Objekten des Alltags und der Kunstgeschichte. Außerdem plaudert sie darüber, wie hell oder dunkel es im Ausstellungsraum gerade ist und wonach es riecht. 

«Führungen am Telefon muss ich viel konzentrierter halten. Das Schwierige ist, dass ich keine Rückmeldungen bekomme», sagt Fehrenbach. Keiner nickt, lächelt, grübelt, zeigt besonderes Interesse oder auch Langeweile.

«Ich bin eigentlich nicht die große Gestikuliererin. Aber beim Telefonieren habe ich gemerkt, dass ich mit beiden Händen erzählte.» Sie gestikuliere deutlich mehr. «Das, und dass ich laut sprechend in einen Raum komme, ist für manche Besucher im Museum bestimmt manchmal auch irritierend», sagt sie und lacht.

Das alles führt aber tatsächlich dazu, dass die Anrufer nur durchs Zuhören eindrücklich durchs Museum gelotst werden. Die blinde Gertrud Feld empfindet die Hörführung als große Bereicherung. Sie trinke dabei gern Kaffee und lausche gespannt. «Man geht immer schlauer raus, als man reingegangen ist.»

© dpa-infocom, dpa:250615-930-671149/1